Aitne, 2021, 65 x 86 x 60 cm, Textil und Keramik

Carme, 2021, 80 x 40 x 90 cm, Textil und Keramik

Kore, 2022, 110 x 19 x 11 cm, Textil und Keramik

Carpo, 2021, 72 x 27 x 15 cm, Textil und Keramik

Kallisto, 2022, 95 x 50 x 25 cm, Textil und Keramik

Ersa, 2021, 64 x 20 x 10 cm, Textil und Keramik

Herse, 2021, 45 x 40 x 20 cm, Textil und Keramik

Ananke, 2021, 64 x 42 x 25 cm, Textil und Keramik

Taygete, 2022, 105 x 47 x 26 cm, Textil und Keramik

Euporie, 2021, 90 x 90 x 27 cm, Textil und Keramik

Kale, 2021, 20 x 52 x 52 cm, Textil und Keramik

Sponde, 2021, 66 x 37x 20,5 cm, Textil und Keramik

Ganymed, 2022, 100 x 126 x 50 cm, Textil und Keramik

Metis, 2021, 50 x 50 x 11,5 cm, Textil und Keramik

Leda, 2021, 80 x 19,5 x 10,5 cm, Textil und Keramik

Dia, 2021, 93 x 39 x 19 cm, Textil und Keramik

Kalyke, 2022, 90 x 22 x 11 cm, Textil und Keramik

Pandia, 2021, 53 x 20 x 10 cm, Textil und Keramik

Sinope, 2021, 120 x 19 x 11 cm, Textil und Keramik

Elara, 2021, 83 x 44 x 10 cm, Textil und Keramik

Valetudo, 2021, 67,5 x 32 x 10,5 cm, Textil und Keramik

Installationsansicht Corkin Gallery, Oktober 2022

Drei mit Fell, 2022, 168 x 126 x 30 cm, Textil und Keramik

Drei mit Fell, 2022, Kunstfell und Keramik

Installationsansicht Corkin Gallery, Oktober 2022

Quidditas

Organisch – anorganisch, weich – fest, beweglich – starr, warm – kalt: Grit Schwerdtfegers skulpturale Objekte, an denen sie seit 2021 arbeitet, zeichnen sich durch Gegensätze aus. In einer Kombination von Keramik und textilem Material entstehen hybride Wesen, die in ihren Eigenschaften eher assoziativ zu umreißen als präzise zu beschreiben sind. Der Titel dieser Gruppe, Quidditas, ein der Philosophie des Mittelalters entlehnter lateinischer Begriff, mit „Washeit“ zu übersetzen, rührt an den definitorischen Kern der Arbeit: Quidditas meint das Wesen eines Dings, das hier jedoch darin besteht, eben nicht bestimmbar zu sein, sondern fluide und ambivalent zu bleiben. Die Objekte sind also sich selbst in ihrer Eigenart hinterfragende Dinge.

 

Meist bestehen sie aus einer keramischen, farbig glasierten und zur Befestigung an der Wand konstruierten Halbkugel mit runden Auslassungen, aus der spitz zulaufende textile Rollen unterschiedlicher Länge und Dicke herauswuchern oder wachsen. Genäht aus unterschiedlichen Stoffen in diversen Farben und verschieden fest mit Füllmaterial ausgestopft, sind ihre Formen mannigfaltig. Glänzend in samtigem Bordeauxrot mit sich leicht kringelnden Ende hängen sie von einer dunkelblauen Halbkugel herab, ragen kunstledern-schwarz konisch nach oben oder treiben wild und raumgreifend aus einer petrolfarbenen Basis aus.

 

In ihrer Anmutung changieren diese Objekte zwischen Pflanzlichem und Tierischem, sind darin surrealen Charakters. Sie erinnern an Bogenhanf oder Lianen, an Seeanemonen, Spinnenbeine, die Tentakel eines Oktopusses oder einer Qualle. Ihre Wirkung ist widersprüchlich: Mal möchte man sie ob ihrer einladenden weichen Textur unbedingt anfassen, ihre stoffliche Eigenart ertasten, mal schreckt man eher vor der Berührung zurück, fürchtend, dass sie unangenehm sein könnte. Anziehung und Widerstreben, Faszination und Erschrecken wechseln sich als mögliche Empfindungen ab.

 

Benannt sind die einzelnen Mischwesen nach größeren und kleineren Monden unseres Sonnensystems, deren Namen denen von Gestalten der griechischen Mythologie entlehnt sind: Aitne, Carpo, Euporie oder Taygete etwa. Die räumliche Entfernung zu den Monden steht metaphorisch für die Distanz zwischen Betrachtenden und Objekt oder aber womöglich die Fremdheit ihm gegenüber.

 

Ikonografisch kaum einzuordnen, werden über die Form der Arbeiten doch verschiedene kunsthistorische Referenzen aufgerufen: Darstellungen mythologischer Figuren wie der Medusa mit dem Schlangenhaar, vor allem bekannt durch Caravaggios zwei Gemäldefassungen von 1596/97, oder das vielköpfige Ungeheuer Hydra, das im Kampf von Herkules besiegt wird. Aber auch in der jüngeren Kunstgeschichte finden sich in den verschiedenen Ausprägungen des aus der Pop Art hervorgegangenen Prinzips der Soft Sculptures Anknüpfungspunkte: so bei Yayoi Kusamas Stoffphalli, Sarah Lucas‘ aus ausgestopften Nylons bestehende „Strumpfhosen-Hasen“ der Installation Bunny Gets Snookered von 1997 oder dem überdimensionierten Tintenfisch aus buntem Stoff, Total Produce (Morality), aus dem Jahr 2010 von Cosima von Bonin.

Sind in diesen Werken Gestalt und Material semantisch stark aufgeladen – in Verhandlung von Fragen wie Sexualität, problematischer weiblicher Rollenbilder oder der ins Groteske gesteigerten Banalität der Alltagsdinge –, bewegen sich Grit Schwerdtfegers Objekte auf einer stärker formal-ästhetischen Ebene, die eng mit dem zugrundeliegenden Arbeitsprozess ihrer Herstellung zusammenhängt. Es ist die sorgfältige Auswahl der Stoffe in ihrer haptischen Qualität, die fein darauf abgestimmte Festlegung der Oberflächengestaltung und Farbfassung der in Auftrag gegebenen keramischen Anteile und nicht zuletzt der konzentrierte und zeitintensive Vorgang des Nähens selbst, die konstitutiv für die Wirkung der Skulpturen sind.

 

Grit Schwerdtfeger ist bislang als Fotografin bekannt, dokumentarisch-konzeptuell arbeitend in ihrer Annäherung an Orte und Menschen. Ihre Hinwendung zum Skulpturalen hängt mit der durch die Corona-Pandemie veränderten Arbeitssituation zusammen. Nicht zuletzt angeregt durch im Jahr 2017 in einem peruanischen Museum entdeckte präkolumbische textile Skulptur und ihre Kenntnisse des Maschinenähens reaktivierend, begann sie, Stoff als neues Medium zu nutzen. So wie Fotografien einen gesehenen Moment zu fixieren in der Lage sind, schreibt sich dem textilen Objekt ganz unmittelbar das Wissen über die spezifische Technik seiner Herstellung und die dafür aufgewendete Zeit ein. Vom Zweidimensionalen ins Dreidimensionale wechselnd, zeigt Grit Schwerdtfeger gänzlich neue, ungewohnte Bildwelten, zu denen wir uns nicht nur visuell, sondern auch körperlich in Beziehung setzen dürfen.

 

Agnes Matthias

 

Quidditas, 2021/22, Textil und Keramik